EU Civil Protection Forum 2015: Aktuelle europäische Debatten im Katastrophenschutz
Posted on |Auf dem European Civil Protection Forum 2015, welches vom 6.-7. Mai in Brüssel stattfand, diskutierten europäische und internationale Akteure des Zivilschutzes über neue Gelegenheiten zur grenzüberschreitenden Kooperation und über die neuesten Entwicklungen auf EU-Ebene.
Die Konferenz deckte einen weiten Themenbereich ab, von Erfahrungen und bewährten Praktiken in der Stärkung der Widerstandsfähigkeit von Infrastruktur und Bürgern über neue Gelegenheiten für Partnerschaften bis hin zu neuen Technologien. Diese vielfältigen Themen wurden über zwei Konferenztage verteilt.
Im Eröffnungsplenum zu Partnerschaften und Innovation im Krisenmanagement brachten sich Margareta Wahlström, Leiterin von UNISDR, Elisabetta Gardini, MEP, Walter Deffaa, Generaldirektor Regional and Urban Policy der Kommission sowie Monica Scatasta von der Europäischen Investitionsbank mit ein. Nach dem Plenum teilte sich das Publikum in unterschiedliche Podiumsdiskussionen.
Resilienz: Widerstandsfähige Bürger, Widerstandsfähige Infrastruktur
75% der EU-Bürger leben im städtischen Raum. Naturkatastrophen in Städten, betreffen dementsprechend besonders viele Menschen. Das Podium mit dem Titel „Understanding resilient cities“ diskutierte EU-finanzierte Katastrophenschutzprojekte als einen Weg, diesem zusätzlichen Risiko zu begegnen. Auch Städte, die nicht in typischen Risikogebieten liegen, können von den immer häufiger werdenden extremen Wetterverhältnissen betroffen sein, wie Christian Kromberg, zuständig für den Katastrophenschutz der Stadt Essen, feststellte. Mehrere Podiumsteilnehmer sprachen sich auch dafür aus, die Zusammenarbeit mit der Privatwirtschaft zu stärken und schlugen Lösungsstrategien vor, um dies zu erreichen. Jack Radisch vom High Level Risk Forum der OECD appelierte an Unternehmen mit dem Argument, dass sie somit auch ihre eigenen wirtschaftlichen Folgekosten im Katastrophenfall gering halten könnten.
In einer lebhaften Diskussion tauschten sich die Teilnehmer des Podiums „Empowering resilient citizens“ darüber aus, wie mehr Bewusstsein für vorhandene Katastrophenrisiken, und damit eine höhere Widerstandsfähigkeit, in der Bevölkerung geschaffen werden könnte. Maria Telhado vom Zivilschutz der Stadt Lissabon stellte klar, dass hierfür zuallererst die nötige Finanzierung zu sichern sei. Andere Diskussionsteilnehmer, wie Christina Andersson von der schwedischen Zivilschutzbehörde MSB betonten, dass zusätzlich vor allem die inhaltliche und pädagogische Herangehensweise geklärt werden müsse. Die Teilnehmer tauschten diesbezüglich bewährte Praktiken und die verbleibenden Herausforderungen in ihren Ländern aus. Es gab allgemeine Zustimmung dass die Behandlung von Katastrophenresilienz in der Schule absolut notwendig ist. Eine entsprechende Befragung des Publikums unterstützte diese Ansicht einstimmig. Dennoch haben noch nicht alle europäischen Länder Katastrophenresilienz verpflichtend auf dem Lehrplan. Keiko Tamura, Professorin für Risikomanagement von der Niigata-Universität in Japan, präsentierte die Ergebnisse einer Studie, die den Erfolg einer solchen Aufklärung in der Schule belegten: Die Schäden und Probleme durch Erdbeben und Tsunamis an japanischen Schulen waren überall dort geringer, wo Resilienz bereits auf dem Lehrplan stand.
Nach Abschluss der Podiumsdiskussionen endete der erste Konferenztag damit, dass Margareta Wahlström den aktuellen Bericht zur globalen Katastrophenrisikoreduzierung im Plenum vorstellte.
Neue Partnerschaften
Der Vormittag des zweiten Konferenztages war den Möglichkeiten für neue Partnerschaften gewidmet. Die Podiumsdiskussionen beschäftigten sich mit der Verbesserung internationaler Vernetzung, der Zusammenarbeit mit der Privatwirtschaft und der Kooperation mit der Wissenschaft im Krisenmanagement.
Auf dem Podium mit dem Titel „Science-based disaster risk management“ stellte Merle Missoweit vom Fraunhofer INT das DRIVER-Projekt vor, welches an der Integration wissenschaftlicher Methoden in das Katastrophenmanagement arbeitet. Die Diskussion kehrte jedoch häufig zu einem Kernpunkt zurück: Wie sowohl Andy Kirkman vom Met Office aus Großbritannien als auch Scira Menoni von der Politecnico de Milano aus Italien anmerkten, ist Wissen für den Katastrophenschutz kein Selbstzweck, sondern muss der Zielgruppe vermittelt und nutzbar gemacht werden. In einigen Fällen ist das Problem der mangelnde Zugang. Delilah Al Khudhairy vom Joint Research Centre der Europäischen Kommission war das Problem bekannt. Die Komission versucht zur Zeit, ihm mit einer zentralen Wissensplattform für ihre Forschungsprogramme zu begegnen. Auf Einwände des Publikums, dass die Strukturierung der Daten weiterhin oft mangelhaft ist, lud Graham Wilcott vom DG Home die Endnutzer dazu ein, ihre Erfahrungen mit der Kommission zu teilen.
Die Diskussion zum Thema „Linking international disaster management actors“ ging zuerst auf grundsätzliche Probleme in immer komplexer werdenden Krisen ein. Juha Auvinen, Leiter der Emergency Response Unit der Kommission sowie Jesper Lund von UN OCHA erklärten, dass Kommunikation und Interoperabilität in der internationalen Zusammenarbeit immer noch eine Herausforderung sind. Die Diskussion fokussierte sich schnell darauf, dass Information und Ausbildung für die Leute vor Ort notwendig sind – diese seien die faktischen Ersthelfer, insbesondere dort wo Hilfe aus Nachbarstaaten nur spät oder gar nicht eintrifft. Ein Grundverständnis zur Risikoeinschätzung sei nötig, um den Menschen eine angemessene Reaktion auf Katastrophen zu ermöglichen. Dies würde nicht nur unmittelbar helfen, sondern auch das Sammeln relevanter Informationen für nationale und internationale Katastrophenhelfer verbessern. Ein unvollständiges Bild der Lage ist immer noch ein übliches Problem in der Vorbereitung von internationalen Einsätzen. Auch Probleme mit der Infrastruktur stellen weiterhin Hürden dar. Live aus Nepal zugeschaltet berichtete Ian Norton von der WHO über die Koordinationsschwierigkeiten am Flughafen von Kathmandu. Dieser war durch die vielen Hilfsgüterflüge überlastet, wodurch viele Lieferungen verspätet ankamen.
„Partnering with the private sector“, so der Titel einer weiteren Podiumsdiskussion, war ein wiederkehrendes Thema auf dem Civil Protection Forum. Ed Martinez von der UPS-Stiftung und Andrea Debane von der Airbus-Stiftung legten ihre bestehende Zusammenarbeit mit Hilfsorganisationen dar. Aus dem Publikum wurde der Einwand aufgeworfen, dass auch mangelndes Vertrauen der Öffentlichkeit in private Unternehmen zu beachten sei. Die Motivation der Privatwirtschaft zur Kooperation wurde von Jérôme Glorie vom belgischen Innenministerium mit einem Beispiel veranschaulicht. So wurde in Antwerpen mit Hilfe einer Chemiefirma ein spezielles Löschfahrzeug zum Einsatz bei Chemieunfällen angeschafft. Dieses steigert sowohl die Sicherheit auf dem Werksgelände als auch die der gesamten Gemeinde, da es überall von der lokalen Feuerwehr eingesetzt werden kann.
Innovative Technologien
Die Nachmittagsveranstaltungen konzentrierten sich auf Innovation in verschiedenen Bereichen des Katastrophenschutzes: Neue Technologien im Einsatz, Innovative Partnerschaften in der Ausbildung und Krisenkommunikation.
„Innovation in the field“ wurde von einem Podium aus Forschern, Herstellern und Nutzern aktueller Technik, wie zum Beispiel Unbemannte Fluggeräten (UAVs „Drohnen“), diskutiert. Durch technische Entwicklungen der letzten Jahre, die auch im Rahmen von EU-Projekten gefördert wurden, ist die faktische Nutzung von UAVs im Katastrophenfall kein Problem. Wie Henrik Bendixen von der Firma Sky-Watch aus Dänemark anmerkte, ist die Rechtslage jedoch oft problematisch. Die EU kann jedoch von sich aus keine einheitliche Regelung erwirken, da derartige Gesetzgebung vor allem in den Händen der Mitgliedsstaaten liegt, wie Vincente de Frutos Cristóbal vom DG Mobility and Transport bemerkte. Geert de Cubber, Koordinator des EU-geförderten ICARUS-Projektes, kritisierte, dass Rechtsunsicherheit dabei nicht nur den Einsatz aktueller Technik zurückhält. Gleichzeitig werden Investitionen in deren Weiterentwicklung wenig attraktiv für private Geldgeber.
Das Podium zum Thema „Crisis communication“ beschäftige sich vor allem mit der Interaktion mit der Öffentlichkeit durch Social Media und vergleichbare Kanäle. Somit wurde ein Aspekt konkretisiert, der bereits in der Diskussion zur Verbindung von Krisenakteuren zur Sprache kam. Das ambitionierteste Projekt war das „Digital Humanitarian Network“, welches von Patrick Meier, Mitgründer der Initiative, vorgestellt wurde. Digital Humanitarian nutzt Crowdsourcing, um Schadensmeldungen und Mapping aus Krisenregionen zu erhalten. Menschen vor Ort konnten sich mit Hilfe ihrer Mobiltelefone daran beteiligen. Diskutanten von verschiedenen Zivilschutzbehörden berichteten über ihre Social Media-Nutzung. So ist in Antwerpen die Feuerwehr so weit, Alarmierungen auf Social Media ab einer gewissen Anzahl unabhängiger Bestätigungen durch mehrere Quellen nachzugehen, wie der Notfallkoordinator der Stadt, Bart Bruelemans, berichtete. Katja Evertz vom BBK erläuterte, dass die Zivilschutzbehörden in Deutschland einer großen öffentlichen Skepsis gegenüber Social Media begegnen. Insbesondere Datenschutzbedenken spielen hier eine Rolle.
Veranstaltungsaufzeichnung online verfügbar
Das gesamte Programm sowie Videoaufnahmen der Plenarsitzungen und Podiumsdiskussionen des Civil Protection Forum sind auf der Website der Europäischen Kommission verfügbar.